Deutschland erkennt nach jahrelangen Verhandlungen in einem „Aussöhnungsvertrag“ den Völkermord in Namibia an. Doch viele Herero sind mit den damit verbundenen Entwicklungsprojekten nicht zufrieden. Ihr Oberhaupt hält die Vereinbarung für „verlogen“.
Völkermord in Namibia: Die Wut der Herero auf Steinmeier
28. Mai 2021 | Die Welt (Bezahlschranke)
Es wird ohne Frage eine der kompliziertesten Reisen für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Sechs Jahre lang hatten Deutschland und Namibia über die Aufarbeitung des Völkermordes verhandelt, den die kaiserliche „Schutztruppe“ während der Kolonialzeit zwischen den Jahren 1904 und 1908 an den Volksgruppen der Herero und der Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika verübt hatte.
Mitte Mai, nach der neunten Verhandlungsrunde, kamen die Unterhändler beider Länder in Berlin endlich zu einer Einigung. Das „Aussöhnungsabkommen“ und die damit verbundene offizielle Anerkennung des Genozids durch Deutschland liegt derzeit beiden Regierungen zur Unterschrift vor.
Bundesaußenminister Heiko Maas sagte am Freitag: „Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten.“ Er nannte den Völkermord das „dunkelste Kapitel“ der gemeinsamen Geschichte von Namibia und Deutschland und sprach davon, „froh und dankbar“ über die Einigung zu sein. „Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord“, sagte der Außenminister. Die namibische Regierung begrüßte die Anerkennung des Völkermordes.
Im Laufe der kommenden Monate, so ist es vorgesehen, wird Bundespräsident Steinmeier dann offiziell im Parlament Namibias um Vergebung bitten. Ihm ist die Sache wichtig, schließlich hatte er die Verhandlungen noch während seiner Zeit als Außenminister mit vorangetrieben.
Man sollte also davon ausgehen, dass der Rahmen für eine würdige Zeremonie bald gesetzt ist. Doch ein Anruf bei Vekuii Rukoro, der als Paramount-Chief als Oberhaupt der Herero gilt, weckt daran Zweifel. „Für die Herero und Nama wird Steinmeier eine Persona non grata sein“, sagt der 66-Jährige, „unter den vorliegenden Umständen ist er nicht willkommen. Das ist ein Zirkus, eine PR-Show. Wir werden im größtmöglichen Ausmaß protestieren.“ Unter anderem will er Oppositionspolitiker dazu bewegen, zu Beginn von Steinmeiers Rede das Parlament zu verlassen.
Aufarbeitung der Geschichte
Historischer Hintergrund des Vorgangs ist der Aufstand der Herero im Jahr 1904 gegen die deutsche Kolonialherrschaft, die mit einer empfindlichen Reduzierung ihres Weidelandes einhergegangen war. Als eine Rinderpest das Leid der Herero zusätzlich vergrößerte, kam es zu Angriffen. Nachdem über 100 Deutsche getötet worden waren, formulierte der berüchtigte Generalleutnant Lothar von Trotha das Ansinnen des Völkermordes in seinem Schießbefehl vom 2. Oktober 1904 unmissverständlich: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“
Die Schätzungen zu den Opferzahlen variieren erheblich, aber es wird davon ausgegangen, dass zwischen 30.000 und 65.000 Herero getötet wurden – und damit bis zu 80 Prozent ihrer damaligen Bevölkerung. Die Nama, ein kleinerer Stamm, wurden um die Hälfte dezimiert. Tausende verdursteten. Sie waren nach der militärischen Niederlage in die Wüste geflüchtet, wo die Wasserlöcher von den Deutschen abgeriegelt wurden.
In den vergangenen Jahren setzte sich auch im Deutschen Bundestag zunehmend die Einsicht durch, wie beschämend es ist, dass die brutale Niederschlagung des Aufstands auch nach über einem Jahrhundert nicht offiziell aufgearbeitet wurde. Im Jahr 2015 begann das zähe Ringen. Die namibische Seite, so ist aus Verhandlungskreisen zu hören, stimmte dem deutschen Entwurf nun auch mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen im September zu. Mit einer neuen Regierung, so die Befürchtung, würden viele Diskussionen wieder von vorne beginnen.
Rukoro nimmt Anstoß daran, dass Deutschland auf bilaterale Verhandlungen bestand. Anstelle von individuellen Entschädigungen an die Nachfahren der überlebenden Opferfamilien sollen soziale Projekte für Bildung, Gesundheitswesen, Versöhnung und Landerwerb langfristig unterstützt werden, besonders in Gegenden, in denen viele Herero und Nama leben. Das Geld soll den beiden Volksgruppen mehrheitlich zugutekommen, aber eben nicht ausschließlich und nicht in Form von Direktzahlungen.
Schon jetzt bekommt Namibia pro Kopf der Bevölkerung die höchste deutsche Entwicklungshilfe in ganz Afrika. Seit dem Jahr 1990 wurden dem Land insgesamt über 800 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
„Genozid aus heutiger Sicht“
Die deutschen Unterhändler begründeten die nun diskutierten weiteren Zahlungen mit moralisch-politischer Verantwortung, einen rechtlichen Anspruch räumten sie aber nicht ein. Die UN-Völkermordkonvention sei erst im Jahr 1948 beschlossen worden und könne nicht auf davor begangene Verbrechen angewendet werden, so die Argumentation. Entsprechend wird in der Vereinbarung dem Vernehmen sinngemäß die Rede von einem „Genozid aus heutiger Sicht“ sein, um sich juristisch gegen finanzielle Entschädigungsansprüche abzusichern. So sprach auch Außenminister Maas am Freitag explizit von einem Völkermord „aus heutiger Perspektive“.
Der wortgewandte Rukoro hält das für „verlogen“. Er verweist darauf, dass der Deutsche Bundestag den Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich schon vor den Herero-Verhandlungen und ohne diese Einschränkung als Völkermord eingestuft habe, obwohl dieser im Jahr 1915 stattfand, also ebenfalls vor der Konvention. Ausführlich spricht er auch über die Entschädigungen an das jüdische Volk nach dem Holocaust. Der Vergleich hinkt, denn damals griffen viele andere Gesetze. Doch für Rukoro steht fest: „Hier wird Geld in Richtung Regierung geworfen, anstatt es den Opfern zu geben.“
In der Regierungspartei Swapo gibt es zwar auch einige Abgeordnete mit Herero-Abstammung. Aber sie wird vom größten Stamm des Landes dominiert, den vom Völkermord damals nicht betroffenen Ovambo. Sie machen heute 50 Prozent der Bevölkerung aus, die stolzen Herero dagegen nur sieben Prozent, eine Folge des Genozids. Rukoro schürt unter seinen Leuten die Sorge, dass das Geld aus Deutschland allgemeineren Zwecken des Landes und damit nur marginal den Herero und Nama zugutekommen wird – zumal das Land schon vor der Pandemie in einer tiefen Wirtschaftskrise steckte.
1,1 Milliarden Euro – für wen?
Der Aufbau von Mechanismen, mit denen die Zahlungen zweckgebunden bleiben, war jedoch aus deutscher Sicht ein wichtiger Bestandteil der bilateralen Einigung. Über die genauen Inhalte hatten beide Länder vorerst Stillschweigen vereinbart. Rukoro sagt, er habe aus Regierungskreisen erfahren, dass über einen Zeitraum von 30 Jahren insgesamt 1,1 Milliarden Euro gezahlt werden sollen. Viel zu wenig, wie er findet. Namibias Regierung hat die Zahlen am Mittwoch bestätigt und kündigte weitere Beratungen mit den „betroffenen Gemeinden“ an.
In die Verhandlungen mit Deutschland waren Gremien der Nama und Herero eingebunden, die wichtigsten Unterhändler sind ebenfalls Herero. Doch es war offenbar schwierig, die Herero in ihrer Gesamtheit zu erreichen. So wie sich nicht alle in den Verhandlungsrat einbinden ließen, erkennen auch längst nicht alle Rukoro als ihr Oberhaupt an, sagen Beobachter. Das Argument der intransparenten Strukturen sei „billig und rassistisch“, entgegnet Rukoro, eine „entzweiende Taktik“, mit der man zudem den Dialog mit den Opfern vermeiden wolle. Man solle diese Frage doch bitte den Herero überlassen, sagt Rukoro, „wir finden dann einen Weg, uns als gemeinsame Kraft zu organisieren“.
Er pocht weiter strikt auf direkte Zahlungen an die Volksgruppen. Dafür zog der erfahrene Jurist vor einigen Jahren in New York bereits vor ein Gericht, das die Klage jedoch nicht zur Verhandlung annahm. Rukoro sagt, er wolle die Angelegenheit vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag weiterverfolgen. Aussicht auf Erfolg hat das nicht, denn dort können nur Staaten klagen.
Die deutschstämmige Gemeinschaft in Namibia hofft jedenfalls, dass die Einigung schnell und möglichst reibungslos besiegelt wird. Es ist eine wirtschaftsstarke, aber doch sehr kleine Minderheit, sie macht gerade einmal 17.000 der 2,5 Millionen Namibier aus. Und das Thema belastet natürlich. „Es ist viel von Aussöhnung die Rede, aber es geht doch darum, was wir und künftige Generationen konkret machen können, um weiter friedlich miteinander leben zu können“, sagt Harry Schneider-Waterberg, ein Mitglied der Bürgerorganisation Forum Deutschsprachiger Namibier.
Man wolle künftig noch weit mehr als bisher Gespräche mit Vertretern der Herero und Nama führen, „um diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten“. Eine Einigung der beiden Regierungen würde dabei als Grundlage sehr helfen, sagt Schneider-Waterberg, „besonders wenn damit die Möglichkeiten verbunden sind, die Lebensverhältnisse der Herero und Nama strukturell zu verbessern“. Als einen Abschluss der Geschichte sieht der Farmer das Abkommen ohnehin nicht. „Aber es ist die Basis für eine Zukunft, auf der wir aufbauen können.“
- von Christian Putsch, Afrika-Korrespondent