Brief an Robert Koch Institut
Präsident Lothar H. Wieler
Rochusstraße 1
D-53123 Bonn
Windhoek, den 28.November 2021
Sehr geehrter Prof. Dr. Dr. hc mult. Wieler,
die wegen der B.1.1.529 („Omikron“) Virus neuerlich eingeführten Reisebeschränkungen für das südliche Afrika stürzen Länder wie Namibia endgültig ins wirtschaftliche Verderben.
Dabei ist bisher weder erwiesen, dass die Variante tatsächlich in Südafrika entstanden ist noch, dass sie ansteckender oder resistenter ist, als frühere Mutationen. Auch kann bisher niemand sagen, ob die vorhandenen Impfstoffe weiterhin wirksam sind. Durch reinste Spekulation also wird ein ganzes vom Tourismus abhängiges Entwicklungsland an den Abgrund geschoben.
Seit Wochen verzeichnet Namibia konstant niedrige Infektionszahlen, sie liegen bei ca. 2500 Testungen pro Tag entweder im niedrigen zweistelligen, gelegentlich sogar im einstelligen Bereich. In der ganzen vergangenen Woche waren es 59 Neuinfektionen. An dem Tag, als Namibia – gemeinsam mit Südafrika und anderen Ländern des südlichen Afrika – auf die rote Liste gesetzt und der Reiseverkehr aus Europa wegen der Quarantänebestimmungen sozusagen lahmgelegt wurde, verzeichnete Namibia gerade einmal 18 neu Infizierte. Die Inzidenz liegt bei 3.
Die B.1.1.529-Variante wurde bisher in Namibia in keinem Fall nachgewiesen. Dennoch wird Namibia vom Bundesgesundheitsministerium nun als Virusvariantengebiet eingestuft. Zum Vergleich: in Belgien gab es einen Fall von B.1.1.529. Das müsste in der Konsequenz zur Folge haben, dass Belgiens Nachbarländer allesamt – einschließlich Deutschlands (!) – auch auf die rote Liste kommen und Rückreisende in Quarantäne müssen.
Es wird, wie so oft wenn es um Entwicklungsländer geht, mit zweierlei Maß gemessen.
Die Reisebeschränkungen werden dramatische Folgen mit sich bringen: da sich viele Urlauber und Rückreisende eine 14-tägige Quarantäne nicht leisten können, sind die jüngsten – in unseren Augen vorschnellen und unüberlegten – Regelungen ein Desaster für die Wirtschaft dieses schon angeschlagenen Landes, das nach jüngsten Schätzungen mit einer Arbeitslosigkeit von 36.8% zu kämpfen hat.
Namibia ist ein beliebtes Urlaubsziel, rund eine Viertelmillion Europäer besuchen das Land in einem normalen Jahr, und Reisende aus den sogenannten DACH-Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) machen davon den größten Teil aus.
Das Coronajahr 2020 – in dem Namibia von Ende März bis in europäischen Herbst hinein komplett von der Außenwelt abgeschnitten wurde – führte zu Verlusten von zig-tausenden Arbeitsplätzen und der Schließung kleinerer und kleinster Betriebe. Es traf, wie immer, die Ärmsten zuerst und am heftigsten. Die Nahrungsmittelsicherheit ist in vielen, insbesondere ländlichen Gebieten, nicht mehr gegeben, denn diese Regionen profitieren im Normalfall in besonderem Maße vom Tourismus. Kleine Handwerker und Händler, Touristenführer und Taxifahrer stehen nach einer kurzen Erholungsphase erneut vor dem Aus. Menschen in den informellen Siedlungen an den Stadträndern werden zwar noch durch Privatinitiativen mittels Lebensmittelspenden vor dem ärgsten Hunger bewahrt, aber die Hungerkriminalität nimmt zu.
Das Land ist extrem dünn besiedelt und Reisende haben es in jedem Fall leicht, sich – anders als in Europa – von Menschenmengen fernzuhalten. Zu bemerken wäre noch, dass ein großer Teil der im Tourismus Beschäftigten vollständig geimpft ist.
Mit den neuen Reisebeschränkungen schütten die Industrieländer das Kind mit dem Bade aus und verursachen damit ganz direkt unnötig viel Leid, Hunger und finanziellen Rückgang in einem stabilen, demokratischen Entwicklungsland.
Die Einstufung Namibias als Virusvariantengebiet, die Reisebeschränkungen und insbesondere die Quarantänebestimmungen müssen unverzüglich rückgängig gemacht werden.
Benita Herma
Mitglied des Vorstands